Cloud oder lokal?
In den vergangenen Monaten haben wir diverse Video-Überwachungslösungen getestet , für drinnen und draußen, als Einzelkameras und als Komplettlösung, etwa für große Grundstücke, Einfamilienhäuser, Lagerhallen oder Ladenlokale.
Die Antwort der meisten Anbieter auf das Thema Video-Überwachung ist derzeit die Anbindung an eine Cloud : Kameras von Blink , Arlo , Ring & Co. laden Clips bei erkannter Bewegung auf die Server ihrer Hersteller, der Kunde schließt zusätzlich zum Kauf der Kamera meist noch ein Abo für den Online-Speicher ab. Das hat viele Vorteile. Die meisten der zugehörigen Apps wirken modern und sexy, die Einrichtung der Kameras ist auch für Nicht-Informatiker problemlos möglich und der Zugriff auf Livebilder und Aufzeichnungen per Smartphone oder Tablet ist ab Werk rund um die Welt möglich. Und die Bilder lassen sich auch dann noch abrufen, wenn die komplette Wohnung inklusive Netzwerktechnik und Kameras ausgeräumt wurde.
Wer lieber lokal und offline arbeitet, kann die Videoclips auf einer NAS speichern. Viele Netzwerkkameras unterstützen das auf eine rudimentäre Art und Weise komplett selbsttätig, indem sie Dateien etwa per FTP hochladen – sonderlich komfortabel ist das aber nicht; zumal das Abrufen der Ereignisse dann wieder sehr zäh wird.
Synology Surveillance Station
Viele NAS-Hersteller bieten Software-Lösungen für ihre Geräte, um Live-Bilder von Netzwerkkameras und Video-Aufzeichnungen komfortabel per Handy, Tablet oder Monitor einsehen zu können. Positiv ist uns dabei Synology aufgefallen; die dort Surveillance Station genannte Software läuft nämlich auch auf den absoluten Einsteigermodellen, während eine privat gekaufte NAS eines anderen Herstellers die vergleichbare Lösung nicht anbietet – dort gibt es die Video-Aufzeichnung erst bei den teureren Modellen.
Einziger „Haken“ bei Synology: So wirklich kostenlos ist auch die Surveillance Station nicht. Je nach NAS-Modell lassen sich mindestens zwei Kameras gleichzeitig einbinden, bei anderen Modellen wie dem NVR1218 sind es vier. Wer mehr IP-Kameras einbinden und aufzeichnen möchte, muss Lizenzen nachkaufen. Ein zusätzlicher Kanal kostet knapp 50 Euro, vier weitere 150. Nicht billig, aber im Vergleich zu den Cloud-Lösungen handelt es sich dabei zumindest um eine Einmalzahlung.
Einrichtung
Die Konfiguration erfolgt über das Webinterface der Synology NAS. Und um es gleich klar zu sagen – wer schon mit Synology gearbeitet hat, darf das jetzt getrost überlesen – das Webinterface von Synology gehört zu den Besten, die wir je gesehen haben.
Auf den ersten Blick ist die Oberfläche, die mehr an einen Windows-Desktop denn an ein klassisches Web-Interface einer Netzwerkkomponente erinnert, zwar etwas gewöhnungsbedürftig. Die Eingewöhnung hat bei uns aber keine fünf Minuten gedauert. Über das Hauptmenü der NAS lassen sich per Paketmanager Programme nachinstallieren, falls die Surveillance Station noch nicht läuft. Ist sie installiert, startet man sie in einem neuen Browser-Tab – auch die Oberfläche der Videoüberwachung erinnert stark an einen Windows-Desktop.
Dort gibt es Icons für die Live-Ansicht, für Aufzeichnungen und Einstellungen, die dann jeweils ein neues „Fenster“ auf dem Desktop im Browser öffnen. Wie gesagt: Man muss sich kurz daran gewöhnen, danach bleiben keine Fragen offen.
Das Hinzufügen der Kameras ist minutenschnelle erledigt, vorausgesetzt, die Netzwerkkameras sind richtig konfiguriert und im LAN erreichbar. Eine automatische Suche findet hunderte von kompatiblen Kameras und über ONVIF tausende weitere Kameras per Klick; viel einstellen muss man nicht. Keine 15 Minuten nach Inbetriebnahme des Synology NVR liefen bei uns vier Aufnahmen von bereits eingerichteten IP-Kameras.
Aufnahmen
Zwar gibt es auch die Möglichkeit, die Bildauswertung – und damit die Bewegungserkennung – an die Surveillance Station auszulagern, das geht allerdings auf die Rechen-Ressourcen der NAS. Mit vier gleichzeitigen Streams funktioniert das bei der von uns getesteten NVR noch, je nach verbautem Prozessor und Arbeitsspeicher ist aber nicht mehr viel Luft nach oben.
Ohnehin ist die Bewegungserkennung rudimentär gelöst: Zwei einstellbare Zahlen legen fest, wie viel Bildinhalt sich ändern muss, damit der Sensor anspricht; so arbeiten IP-Kameras seit zig Jahren. Das ist okay, aber Lösungen, die zum Beispiel Schatten, Wolken und im Wind wehende Bäume von Autos und Gesichtern unterscheiden können, reduzieren die Fehlerquote bei der Erkennung deutlich. Zum Glück gibt es zunehmend auch Netzwerkkameras, die solche Bildauswertung (zum Beispiel inklusive Kennzeichen-Erkennung) intern durchführen – und die erkannte Bewegung dann an Surveillance Station melden.
Wiedergabe
Zum einen gibt es natürlich eine Live-Oberfläche, in der eine oder mehrere Kameras gleichzeitig zeigen, was sie gerade sehen. Zum anderen gibt es eine Chronik, in der man die Aufnahmen durchspulen kann. Standardmäßig schreiben alle Kameras ununterbrochen ihren Stream auf die Festplatte; wie lange respektive wie viel Speicherplatz dafür zur Verfügung steht, kann man einstellen. Ist der Speicher voll, wird das älteste Material überschrieben.
Praktisch ist, dass man sich in der Ansicht auch nur die Bereiche der Clips ansehen kann, in denen sich etwas getan hat. Man stellt den entsprechenden Filter an, drückt auf Play – und kann sogar die Wiedergabegeschwindigkeit anpassen. So findet man schnell gesuchte Momente, etwa, wenn jemand Müll auf dem Grundstück abgeladen oder ein parkendes Auto angefahren hat.
Die Wiedergabe klappt problemlos im Web-Interface des Browsers; alternativ gibt es auch Apps für Android und iOS. Die Bedienung gibt hier wie dort nur wenig Rätsel auf. Wer die Funktionsweise der Surveillance Station verstanden hat, kann sie problemlos plattformunabhängig verwenden. Einige Synology-Geräte wie die NVR1218 haben sogar einen HDMI-Ausgang, den man direkt mit einem Bildschirm verbinden kann – ideal beispielsweise für Geschäfte. Wer den Netzwerkspeicher lieber versteckt, kann den Video-Anschluss auch mit dem Gerät Visualstation „nachrüsten“, es wird einfach mit dem gleichen LAN verbunden, mit der Surveillance Station gekoppelt und gibt dann Live-Videos und Aufnahmen wieder – mit Preisen ab etwa 500 Euro ist das aber jenseits von sinnvoll für den privaten Einsatz.
Schade: Eine Unterstützung für Android TV ist derzeit nicht gegeben. Spaßeshalber haben wir uns die APK-Datei der Android-App DS Cam besorgt und von Hand auf einem Philips-Fernseher installiert. Wir wissen jetzt auch, warum die App im Play Store auf dem Fernseher so nicht angeboten wird: Die Eingabe der Zugangsdaten erfolgt erst mal im „Hochformat“ – also um 90 Grad gedreht, und die Bildschirmtastatur funktioniert nicht immer so zuverlässig, wie sie sollte. Sobald die App aber einmal auf dem Fernseher läuft, eignet sie sich durchaus, um Live-Bild oder Aufnahmen anzuschauen.
Produkte
Die folgenden Netzwerkspeicher bringen Surveillance Station mit. Wir haben besonders günstige Systeme sowie die NVR mit vier Kamera-Lizenzen herausgesucht. Wer eine Überwachungslösung plant, kann auf der Webseite des Herstellers bestimmen, welche NAS der richtige Kauf ist: Mehr Streams und höhere Auflösungen brauchen mehr Ressourcen, da kommen die günstigsten Modelle irgendwann an ihre Grenzen. Die aktuell billigste Synology-NAS DS115J (unter 100 Euro ohne Festplatte) unterstützt beispielsweise maximal fünf Kameras, während die NVR1218 mit zwölf Kameras zurechtkommt – entsprechende Anzahl der Lizenzen vorausgesetzt. Außerdem im Vergleich sind die Brot-und-Butter-Modelle für Privatanwender und kleine bis mittlere Büros, die wir schon ausführlich getestet haben: Synology DS216j im Test , Synology DS218j im Test .
Der folgende Preisvergleich zeigt die Kosten für zusätzliche Kamera-Lizenzen und das Netzwerk-Wiedergabegerät Visualstation.
Fazit
Wer keine Netzwerkkenntnisse hat und sich nicht in DHCP, IP-Adressbereiche & Co. einarbeiten will, sollte besser zu einer Kamera-Lösung mit Cloud-Anbindung greifen; ansonsten sind die Hürden zu hoch. Wer in der Lage ist, IP-Kameras im LAN oder WLAN ans Laufen zu bringen, bekommt mit der Surveillance Station eine extrem komfortable, ausgereifte, übersichtliche und hervorragend bedienbare Video-Überwachungslösung – und in vielen Fällen sogar kostenlos, denn Netzwerkspeicher in Form einer NAS wird in vielen Betrieben und zu Hause ohnehin schon gebraucht.
Die Auswahl der kompatiblen NAS ist groß. Man sollte nur bedenken, dass zusätzlich noch Lizenzen für die Kameras nötig sind. Die meisten Synology-NAS bringen Lizenzen für zwei Kameras mit, manche – wie die explizit auf Videoüberwachung ausgerichtete NVR1218 – vier.