Wir haben bereits eine Anleitung zum Selbstbau einer Retro-Konsole (Ratgeber) mit dem Raspberry Pi B veröffentlicht. Aufgrund zahlreicher Hinweise, es gäbe eine interessante Alternative zur von uns genutzten Software Retropie, haben wir nun auch Recalbox ausprobiert.
Was sind Recalbox und Retropie?
Bei Recalbox und Retropie handelt es sich um zwei kostenlose Betriebssysteme für die Emulation von Konsolen und Computern. Um genau zu sein: Es sind für den Raspberry optimierte Linux-Distributionen, die eine grafische Oberfläche, Game-Controller-Unterstützung und diverse Emulatoren vorinstalliert haben. Damit lassen sich Spiele-Klassiker aus den Frühzeiten der Computer- und Konsolentechnik standesgemäß auf dem Fernseher oder Monitor zocken.
Neben dem Raspberry Pi B gibt es die Distributionen auch für andere Plattformen. Wir greifen dennoch auf den günstigen Einplatinen-Computer zurück. Er arbeitet lautlos, ist mit 35 Euro erfreulich günstig und bietet neben HDMI- und USB-Ports auch Bluetooth, WLAN und genügend Rechenleistung zur Emulation der meisten Klassiker.
Neben dem eigentlichen Raspberry braucht man noch eine Micro-SD-Speicherkarte, ein USB-Netzteil, eine Tastatur und für viele Spiele einen USB-Game-Controller (Vergleichstest) . Zur Vorbereitung der Installation sind zudem ein PC (Windows oder Mac) und eine Internetverbindung notwendig. Die Installation läuft bei beiden Systemen sehr ähnlich ab und ist gut dokumentiert. Wer es genau wissen will, sieht sich unser Tutorial zur Installation von Retropie (Ratgeber) an. Sowohl bei Retropie als auch bei Recalbox dauert die Inbetriebnahme weniger als 15 Minuten und verlangt zwar etwas Technik-Liebe, aber kein abgeschlossenes Informatik-Studium.
Die grafischen Oberflächen und die Konfigurationsmöglichkeiten sind auch für Einsteiger schnell zu verstehen. Die Nutzung eines alten Playstation-3-Controllers und eines günstigen USB-Gamepads klappt im Test auf Anhieb mit beiden Betriebssystemen. Bei Bluetooth-Controllern ist die Konfiguration allerdings etwas umständlicher als bei kabelgebundenen Modellen.
Die eigentlichen Spiele (ROMs) sind übrigens nicht dabei, wobei Recalbox immerhin eine Handvoll Games beipackt. Die benötigten Dateien waren ursprünglich ausgelesene Images der Speicherchips von Arcade-Automaten oder Spiele-Cartridges wie beim NES; mit den neueren Konsolen haben sich beispielsweise auch Kopien von CD- oder DVD-Inhalten dazugesellt. Der Name ROM gilt als Synonym für Spiele, die man im Emulator starten kann. Legal sind üblicherweise die ROMs von Homebrew-Games. Diese Titel haben unabhängige Entwickler programmiert – teilweise gibt es aktuelle Titel für 20 Jahre alte Hardware. Viele davon stehen kostenlos zum Download bereit. Eine Plattform für solche kostenlosen Retro-Games ist PDRoms . Hier gibt es jede Menge Titel für Systeme von NES über Gamegear bis hin zu XBox und Playstation. Die bekannten Titel wie Super Mario, Tekkon oder Super Mario World fehlen allerdings.
Das Aufstöbern und Herunterladen von solchen Original-Spielen ist keine Herausforderung, rechtlich ist das allerdings kritisch – denn das Urheberrecht gilt auch, obwohl die Spiele längst nicht mehr erhältlich sind. Konkret dazu geäußert hat sich beispielsweise Nintendo : Das Unternehmen sieht jedgliche Downloads seiner alten Spiele als illegal an.
Die einzelnen Hardware-Emulatoren, beispielsweise für NES, Neogeo, Amiga oder Sega tauchen auf der grafischen Oberfläche übrigens erst dann auf, sobald passende Spiele installiert sind. Direkt nach der Installation sieht der Übersichtsbildschirm deshalb bei beiden Betriebssystemen sehr nackt aus.
Hauptunterschiede
Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden Systeme kaum voneinander. Die Unterschiede liegen beispielsweise in der Größe der Community. Da Retropie etwas älter ist, konnte es mehr Nutzer für sich gewinnen als das Recalbox. Das Resultat ist eine insgesamt größere und aktivere Community und die damit größere Anzahl an Forenbeiträgen und Tutorials. Wer Probleme mit ROMs oder Controllern hat, findet bei Retropie etwas einfacher und schneller Hilfestellungen.
Der Hauptvorteil von Recalbox liegt in der höheren Benutzerfreundlichkeit. Bei der Nutzung ist nach Einrichtung des Controllers praktisch keine Tastatur mehr notwendig, bei Retropie ist diese immer wieder nötig. Insgesamt ist die Oberfläche etwas einfacher verständlich und die Bedienung einen Tick intuitiver. Bei konkreten Fragestellungen ist die passende Antwort allerdings nicht ganz so einfach zu finden.
Vor- und Nachteile Recalbox
Neben der großen Anzahl an vorab installierten Emulatoren und der einfachen Bedienung punktet Recalbox vor allem mit der problemlosen Inbetriebnahme mehrerer Spielecontroller und der guten ROM-Kompatibilität. Die von uns getesteten ROMs (beispielsweise für NES, SNES und Neogeo) funktionierten problemlos und laufen flüssig und mit kaum spürbarer Latenz zum Controller.
Die gesamte Bedienung ist intuitiv und für die Steuerung per Gamepad konzipiert. Das Handling ist damit ein Ideechen komfortabler und einfacher als bei Retropie. Die Größe der Community des anwenderfreundlichen Recalbox wächst ständig.
Vorinstalliert sind Emulatoren für folgende Systeme: Arcade, Arcade Classics, Atari ST, Atari 2600, Atari 7800, Amstrad CPC, Commodore 64, Dreamcast, FDS, Gameboy, Gameboy Advanced, Gameboy Color, Game and Watch, Game Gear, Genesis, Lynx, Master System, Moonlight, MSX1/2/3, Negeo, Neogeo Pocket Color, NES, N64, Odyssey 2 Videopac, Prboom, PC Engine, Playstation, PSP, SNES, Scumm VM, Sega CD, Sega SG1000, Sega 32x, Supergrafx, Sinclair ZX81, Sinclair ZX Spectrum, Vectrex, Virtual Boy, Wonderswan Color.
Eine vollständige Liste findet sich auf der Projektseite von Recalbox . Wer ein Retro-Game einer anderen Konsole zocken möchte, hat allerdings Pech. Bei Recalbox handelt es sich um geschlossenes System, bei dem das händische Nachinstallieren weiterer Emulatoren nicht vorgesehen ist. Bei der vorab installierten Auswahl dürfte das allerdings nur für wenige Nutzer ein Problem darstellen.
Vor- und Nachteile Retropie
Neben der gelungenen Oberfläche, der logischen Bedienung und der riesigen Community im Hintergrund, bietet Retropie ein offenes System auf Debian-Basis. Das Individualisieren von Oberflächen oder das Installieren zusätzlicher Emulatoren ist somit kein Problem. Das heißt übrigens nicht, dass Retropie von Haus aus nur wenige Emulatoren an Bord hätte. Wer beim Bau seiner Retrokonsole alle Freiheiten haben möchte, braucht dafür insgesamt etwas mehr Know-How und häufiger eine Tastatur.
Zwei Neogeo-ROMs haben während des Tests nicht funktioniert oder waren fehlerhaft. Die restlichen Games liefen auch auf Retropie ordentlich und flüssig. Die Verzögerung des USB-Controllers während des Zockens war subjektiv etwas größer als unter Recalbox. Dem Spiel-Spaß mindert das im Test trotzdem nicht.
Zu den Installierten Emulatoren gehören: 3do, Amiga, Amstrad CPC, Apple II, Atari 2600, Atari 5200, Atari 7800, Atari Jaguar, Atari Lynx, Atari ST/STE/TT/Falcon, Colecovision, Color Computer, Commodore 64, Dragon 32, Dreamcast, Gameboy Advanced, Game Cube, Game Gear, Gameboy, Gameboy Color, Genisis/Megadrive, Intellivision, Macintosh, Mame, Master System, MSX, Neogeo, Neogeo Pocket, Neogeo Pocket Color, Nintendo N64, Nintendo DS, NES, Oric, PC, PC Engine/Turbo Grafx16, Playstation 1, Playstation 2, PSP, Sam Coupé, Sega 32x, Sega CD, Sega SG1000, NES, Ti-99/4A, TRS-80, Vectrex, Videopac/Odyssey 2, Virtual Boy, Wii, Wonderswan, Wonderswan Color, ZX Spectrum.
Eine vollständige Liste findet sich auf der Projektseite von Retropie .
Fazit
Sowohl Recalbox als auch Retropie funktionieren super und bieten die perfekte Grundlage für eine DIY-Retro-Konsole. Beide Systeme sind mittlerweile derart gutdokumentiert, dass auch Einsteiger schnell zu einem funktionierenden System kommen. Probleme bei der Nutzung hatten wir weder bei Retropie noch bei Recalbox. Das kann in Einzelfällen anders sein und hängt unter anderem von den verwendeten Controllern und ROMs zusammen. Eine Auswahl passender Controller (Vergleichstest) haben wir bereits zusammengefasst.
Das neuere Recalbox ist auf die Bedienung per Gamepad optimiert und das Handling ist einen Tick einfacher und komfortabler. Wer ins Thema Retro-Konsolen reinschnuppern will und sich mit den vorab installierten Emulatoren zufriedengibt, ist mit Recalbox bestens beraten.
Wen der gelegentliche Griff zur Tastatur nicht stört und wer die Vorteile eines offenen Systems nutzen möchte, sollte zu Retropie greifen. Die Bedienung ist zwar nicht ganz so komfortabel, dafür ist es einfacher Hilfe zu finden. Die riesige Community und die zahlreichen Tutorials sprechen für das ältere Retropie.