Offenes Geheimnis
Los ging es bereits Wochen vor der Vorstellung: Erste Leaks sind aufgetaucht. Inzwischen wurde ein Mitarbeiter des chinesischen Auftragsfertigers Foxconn festgenommen , der angeblich Gehäuseteile des neuen iPhones mitgehen lassen hat. Doch es gab wohl weitere Quellen: Auch an anderer Stelle sind vorab Fotos und sogar Videos der neuen Geräte aufgetaucht – und sie hatten Hand und Fuß.
Bei anderen Herstellern gibt es immer wieder zuverlässige Leaks. Bei Apple gab es in der Vergangenheit vor allem eine Wand des Schweigens. Das ist Teil des Konzepts: Geheimniskrämerei sorgt für Verlangen. Doch inzwischen ist das iPhone so ein Massenprodukt geworden, dass Geheimhaltung – wie man sieht – nur noch schwer möglich ist. Wer in den ersten Tagen nach Verkaufsstart zehn Millionen Geräte absetzen will, kann diese nicht in einem versteckten Kellerraum von einer Handvoll Menschen bauen lassen.
Außerdem ist der Preis für das Geheimnis hoch. Denn da nur so wenige Personen wie möglich im Vorfeld mit den neuen Produkten zu tun haben sollen, bleibt viel Testen aus.
Bugs in der Software
Ja, ich mag iOS. Mir gefällt das arg geschlossene Konzept zwar nicht, aber das war in der Vergangenheit ein Garant dafür, dass es problemlos funktioniert. Aber das, was iOS 8.0 geboten hat? Puh. Früher, als das iPhone noch ein Vorreiter in Sachen Nutzerführung war und Alternativen wie Symbian, Windows Phone, Bada oder frühe Android-Versionen noch gewirkt haben, als wären sie von bekifften Affen gestaltet worden, war die Qualitätskontrolle bei Apple aus meiner Sicht ein hohes Gut. Oft habe ich in Gesprächen mit Produktmanagern und Entwicklern von Konkurrenzprodukten bei offensichtlichen Bugs und Bedienungsfehlern gesagt: „Wie kann so etwas unausgereiftes in den Handel kommen? Wer hat das freigegeben?“ – und: „Bei Apple wäre das nicht passiert.“ Und ich bin überzeugt davon, dass das auch wirklich so war.
Doch zum letzten Software-Update kann ich nur sagen: „Wie kann so etwas unausgereiftes in den Handel kommen? Wer hat das freigegeben?“ Ein Gegenbeispiel kenne ich nicht mehr. PDF-Anhänge von E-Mails ließen sich einfach nicht öffnen, beim Scrollen blinkt und ruckelt der Bildschirm, App-Abstürze, hakelnde Tastaturen und Tastaturen, die wichtige Teile der App überdecken, Probleme mit der Darstellung von Webseiten wie Facebook. Solche Fehler in so einer Häufung habe ich in der Vergangenheit nicht gesehen.
Ja, bei großen Versionssprüngen gibt es am Anfang immer Probleme – egal ob bei Apple, Google oder Microsoft. Deswegen bringen die Jailbreaker ihre Hacks für neue Versionen auch nie früh heraus, denn gerade in der Anfangsphase hagelt es Software-Updates im Wochenrhytmus, und die Wahrscheinlichkeit, dass eine mühsam erforschte Sicherheitslücke mit einem solchen geschlossen wrid, ist extrem hoch.
Aber die meisten der oben aufgezählten Fehler sind mir bereits am ersten Tag mit iOS 8 aufgefallen. Auch bei Apple hätte man sie finden können. Immerhin: Man kann Apple zugute halten, schnell reagiert zu haben. Also hoffe ich, dass die Gruppe der Beta-Tester bei iOS 9 größer ist.
Bentgate: Knick im Gehäuse
Und dann auch noch Bentgate . Ein 1000-Euro-Smartphone verbiegt sich anscheinend von selbst, wenn man es ordnungsgemäß einsetzt. Wirklich?! Wenn das stimmt, ist es ein absolutes No-Go sollte Apple die Verantwortlichen teeren und federn.
Aktuell sehe ich aber, dass das Thema extrem hochgekocht ist. Hämische Freude von Apple-Gegnern auf der einen Seite, die mit Freude verwackelte Videos sharen, die zeigen, dass man die Geräte tatsächlich mit dem Einsatz von Kraft mutwillig verbiegen und zerstören kann. Und auf der anderen Seite: Testergebnisse , die dem iPhone 6 Plus gar kein so schlechtes Zeugnis in diesem Punkt ausstellen und ein offizielles Statement von Apple, das von weltweit neun aufgetretenen Fällen spricht. Von 10 Millionen Geräten?
Ich weiß in diesem Punkt wirklich nicht mehr, was ich glauben soll. Sollte das iPhone 6 Plus bei normaler Benutzung verbiegen, hat Apple einen richtigen Bock geschossen. Erst die Zeit wird zeigen, wie groß das Problem wirklich ist.
Pressefreiheit? Ja, aber ...
Fehlt nur noch der offene Brief der Computer Bild an Apple-Chef Tim Cook . CB-Chefredakteur Axel Telzerow hat ein gekauftes iPhone 6 Plus vor laufender Kamera verbogen. Apples Antwort kam per Telefon: Ab sofort gibt's keine Testgeräte mehr für Computer Bild – und keine Einladungen zu Events.
Das Video von Computer Bild ist provokant, ja sogar aufmerksamkeitsheischend. Aber es beweist gar nichts. Es ist kein wissenschaftlicher Praxistest, sondern es zeigt (mal wieder), dass man das iPhone 6 Plus mit Kraft verbiegen kann. Man kann auch die Displays von weit teureren Ultrabooks verbiegen oder Außenspiegel von Ferraris abtreten. Für #bentgate – ausgelöst durch die Behauptung, dass sich das Smartphone beim normalen Einsatz in der vorderen Hosentasche verbiegt – hat das Video jedenfalls keine Bedeutung.
Doch Apples Reaktion ist alles andere als souverän. Na klar: Es steht dem Unternehmen frei, selbst zu entscheiden, was es mit seinem Geld macht. Einen großen Campus bauen, teure Designer einstellen, Pressevertreter einladen und Testgeräte verteilen. Oder eben auch nicht. Dieses Video zum Aufhänger zu machen, Computer Bild künftig von solchen Veranstaltungen auszuschließen, ist jedenfalls sehr ungeschickt: Das sollte man nicht tun. Es wirft kein gutes Licht auf den Apfel. Ganz unabhängig davon, ob sich die Computer Bild in diesem Video mit Ruhm bekleckert hat oder nicht.
Übrigens: Wir haben zum Launch des iPhone 6 keine Einladung nach Cupertino bekommen, aber Testgeräte zum Verkaufsstart. Im letzten Jahr gab es für uns weder das eine noch das andere, also haben wir die Testgeräte eben selbst gekauft.
Fazit
Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Hat Apple den Marktstart des iPhone 6 vergeigt? BWLer können jetzt nur den Kopf schütteln: Natürlich nicht. 10 Millionen verkaufte Geräte in den ersten Tagen, das ist nicht nur Apple- und Branchenrekord, sondern bedeutet auch einen Milliarden-Umsatz.
Aber viel von dem, was Apple früher ausgemacht hat, ging beim iPhone 6 schief. Dadurch wird das neue Apple-Smartphone nicht automatisch zu einem schlechten Gerät. Ganz im Gegenteil, es gehört mit zu den Besten, die der Markt derzeit zu bieten hat. Doch es wird Zeit für ein Umdenken. Viel von dem, was Apple früher ausgemacht hat, ist heute nicht mehr so wichtig.
Das iPhone ist nicht mehr der einzige helle Stern am ansonsten dunklen Nachthimmel. Die Konkurrenz hat mächtig aufgeholt, und nun sollten andere Werte gelten. Ein fehlerfreies Produkt ist wichtiger als eine leakfreie Entwicklungsphase.